Stellungnahme zu den Rechten von Schwangeren

Stellungnahme des Vorstands des Service Civil International – Deutscher Zweig e.V. zur Revidierung des Roe vs. Wade-Urteils durch den US Supreme Court und zu den Rechten von Schwangeren in Deutschland

Mit der Entscheidung, die durch das Roe vs. Wade-Urteil geschaffene grundrechtliche Garantie des Abtreibungsrechts in den USA aufzuheben, hat der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten allen Personen, die schwanger werden können, die Sicherheit genommen, den Verlauf ihres Lebens selbst zu bestimmen und in Würde zu leben. Wir sind davon überzeugt, dass das Recht, autonome Entscheidungen über den eigenen Körper zu treffen, ein Grundrecht ist und jedem Menschen zusteht.

Der Zugang zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch ist ein wesentlicher Bestandteil der medizinischen Versorgung, denn eine Schwangerschaft hat erheblichen Einfluss auf den Körper und geht auch mit medizinischen Risiken einher. Daher muss die Entscheidung eine Schwangerschaft fortzusetzen oder abzubrechen, grundsätzlich und in erster Linie eine Entscheidung der schwangeren Person selbst sein, zumal hierdurch ihr gesamtes künftiges persönliches Leben und ihr Familienleben geprägt wird. Es ist die Pflicht eines jeden Staates, Individuen zu ermöglichen, in höchstpersönlichen und lebensverändernden Fragen wie dem Umgang mit einer Schwangerschaft selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen.

Im weltweiten Vergleich zeigt sich, dass in Ländern mit sicherem Zugang zu legalen Abtreibungs- und Verhütungsoptionen die geringste Müttersterblichkeit herrscht. Mit anderen Worten: Nur durch legalen Zugang zur Abtreibung können die Leben der betroffenen Schwangeren geschützt werden. Restriktive Gesetze ändern nichts am Bedarf zur Beendigung von Schwangerschaften, sondern führen dazu, dass schwangere Personen in die Kriminalität getrieben werden und sich in ihrer Not gefährlichen, unhygienischen oder unsicheren Eingriffen unterziehen müssen.

Die überfällige Abschaffung des §219a StGB durch Beschluss des Deutschen Bundestags am 24. Juni dieses Jahres hat gezeigt, dass nicht nur das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, sondern auch der Zugang zu sachgerechten ärztlichen Informationen noch immer keine Selbstverständlichkeit ist und stets aufs Neue verteidigt werden muss. Wir begrüßen die Abschaffung des §219a StGB als einen Schritt das Selbstbestimmungsrecht von schwangeren Personen zu stärken, möchten aber betonen, dass die Situation in Deutschland weit von unserem Ideal entfernt ist. Wir kritisieren insbesondere:

  • In Deutschland ist Abtreibung nach wie vor ein Straftatbestand und bleibt nur unter bestimmten Bedingungen straffrei.
  • Die immer schlechter werdende und zudem regional sehr unterschiedliche Versorgungssituation in Deutschland erschwert es Schwangeren, ihr Selbstbestimmungsrecht auszuüben. So hat sich beispielsweise die Anzahl der Kliniken, die Abtreibungen durchführen, in den letzten 20 Jahren halbiert.
  • In Deutschland ist das gesetzlich vorgeschriebene Beratungsgespräch, das einem Schwangerschaftsabbruch vorausgeht, nicht ergebnisneutral, sondern hat zum Ziel, das ungeborene Leben zu schützen und die Motive von schwangeren Menschen kritisch zu hinterfragen.
  • Die gesetzlich festgelegte Wartezeit zwischen Beratungsgespräch und schwangerschaftsbeendender Maßnahme ist zudem infantilisierend und entwürdigend. Dies ist nicht im Sinne des Selbstbestimmungsrechts und des Rechts auf gesundheitliche Versorgung der schwangeren Personen.

Der SCI engagiert sich seit vielen Jahren in diversen Projekten für Geschlechtergerechtigkeit. Wir setzen uns ein gegen Sexismus, Homo-, Bi- und Transfeindlichkeit und treten dafür ein, dass alle Menschen ihre Geschlechteridentität und ihre sexuellen Orientierungen diskriminierungsfrei leben können.

Vor diesem Hintergrund verurteilen wir die Entscheidung des US Supreme Court als Akt der Gewalt gegen Mädchen, Frauen und alle Personen, die schwanger werden können. Wir begrüßen die Abschaffung von §219a StGB als ersten Schritt, das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper von Menschen mit Gebärmutter zu stärken, sehen aber noch weiteren Handlungsbedarf, sowohl in Deutschland als auch international.

 

Der Vorstand des Service Civil International, deutscher Zweig e.V.

 

Bonn, den 22.07.2022